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Perspektivlose Klimapolitik? Gewerkschaftliche Aufgaben bei der Transformation in Automobilindustrie

02.05.2024 | Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Klima – Krise - sozial-ökologische Transformation des Arbeitskreises Internationalismus diskutierten Steffan Krull und Hans Köbrich am 12. April über gewerkschaftliche Aufgaben mit Blick auf die festgefahrene Transformation der Automobilindustrie.

Podium mit Steffan Krull und Hans Köbrich (Foto: IGM)

Die wirtschaftliche Lage des Automobilstandorts Deutschland ist prekär. Darüber wissen die beiden Referenten Steffan Krull (ehem. Leiter des Vertrauensleutekörpers VW Wolfsburg, aktuell Leiter des Gesprächskreis „Zukunft, Auto, Umwelt, Mobilität“ der Rosa Luxemburg Stiftung und Autor) und Hans Köbrich (AKI und ehem. VK-Leiter Motorenwerk BMW Berlin), aus erster Hand zu berichten.
Während Prognosen einen Abbau von bis zu 70.000 Arbeitsplätzen innerhalb der nächsten sechs Jahre alleine bei den Zulieferern diagnostizieren, kann davon ausgegangen werden, dass sich die schlechte konjunkturelle Situation darüber hinaus nur noch weiter zuspitzt. Besonders Hersteller von Mittelklasse-Fahrzeugen, welche auf Massenproduktion angewiesen sind, dürften durch ein Drängen Chinesischer Marken auf den Europäischen Markt unter Druck geraten.
Gerade hier, im mittleren und unteren Preissegment, offenbare sich die Perspektivlosigkeit einer Politik, die es den Herstellern weitestgehend selbst überlässt, den Umstieg auf E-Mobilität zu meistern. Ein marktgesteuertes Umschwenken scheitere schon daran, dass aktuell keine E-Autos unter 35.000 € auf dem Markt zu finden seien. Unter solchen Voraussetzungen seien die von der Bundesregierung vorgesehenen 15 Millionen Zulassungen bis 2023 nicht mehr als ein gegenstandloses Versprechen. Mit dieser Einschätzung steht Steffan Krull nicht alleine da, wie Branchenberichte zeigen, die optimistisch von 8 Millionen zugelassenen E-Autos bis 2023 rechnen. Eine Erklärung für dieses Scheitern ist laut Krull auch schnell gefunden: Ohne weitreichende Förderung von staatlicher Seite sei die preisgünstige Produktion von E-Autos für die deutschen Marken schlicht nicht rentabel genug. Da helfe es wenig, dass die Förderung für den Kauf elektronischer Fahrzeuge zum Jahresbeginn aufgrund der haushaltsbedingten Kürzungen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) durch die Bundesregierung eingestellt wurde.

Die düsteren Aussichten haben längst auch ihren Weg in die Belegschaften gefunden. Krull und Köbrich zeichnen anschaulich die psychologische Lage der durch die schlechten Zukunftsaussichten in Bedrängnis gebrachten Arbeiter*innen nach: Sorge um Arbeitsplatzerhalt, Statusverlust in einer vormals angesehenen Industrie und das Gefühl, keinerlei Einfluss auf die anstehenden Veränderungen zu haben.
Hier sehen beide die Gewerkschaft in die Pflicht genommen, nicht nur defensiv das konjunkturelle Schlechtwetter abzuwehren, sondern Mechanismen zu finden, die den Betroffenen ein Stück kollektiver Wirkmächtigkeit ermöglichen. In der Praxis bedeutet dies, sich in Zukunft bei drohendem Stellenabbau nicht alleine auf Sozialpläne zu fokussieren, sondern für Standorterhalt und Transformationsprozesse zu kämpfen. Wie so etwas gelingen kann, zeigt das Beispiel des in Konkurs geratenen Bremsenherstellers Continental in Gifhorn. In Zusammenarbeit von Betriebsrat und Politik konnte dort ein Investor gefunden werden, der plant, bis 2025 den Standort zum Produzenten von Wärmepumpen umzurüsten – bei teilweiser Übernahme der Continental-Beschäftigten. Krull vertraut darauf, eine solche Vorzeigepraxis gewerkschaftlich im Rahmen sog. Transformationsräte in der alltäglichen Arbeit verankern zu können. Transformationsräte würden zwar vereinzelt existieren, allerdings müssten ihre Entscheidungs- und Ablaufprozess demokratisch geöffnet werden, um nicht in der Zange zwischen Unternehmensinteressen und Politik handlungsunfähig gemacht zu werden.

Gleichzeitig verlangt Krull eine Allianz im gewerkschaftlichen Kampf mit den sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft. Wie der Abschluss Verdis für den Berliner ÖPNV zeige, konnte mit dem Erringen wesentlich besserer Arbeitsbedingungen durch die Zusammenarbeit mit der Klimabewegung im Tarifkonflikt ein wichtiger Schritt in Richtung Ausbau des klimafreundlicheren, öffentlichen Nahverkehrs gelegt werden.

Am Ende steht ein deutliches Plädoyer dafür, in Zukunft das auf dem Gewerkschaftstag 2023 beschlossene Engagement für eine sozial-ökologische Transformation auch in der Praxis ernst zu nehmen. Das bedeute, konkrete Beispiele gelungener Transformation sich zum Vorbild zu nehmen und dabei die demokratischen Strukturen der IG Metall nutzen, um den Beschäftigten der betroffenen Industrien einen notwendigen Grad an Gestaltungsmöglichkeiten zu gewährleisten.

Von: Finn Seidenthal

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